Semantische Auszeit. Über „Die Schmiede des Vulkan“ von Alexander Camaro

Nicht alle Sammelbände und Anthologien, für die man einen Aufsatz schreibt, werden auch publiziert. Als ich letztes Jahr eingeladen wurde, einen Beitrag für einen Band über „Das Atlantis der BRD“, nämlich über die Stadt Bonn, zu schreiben, schien mir nichts passender als eine Analyse eines Gemäldes von Alexander Camaro, das einige Jahre eine zentrale Stellung im Bonner Kanzlerbungalow einnahm. – Nachdem aus dem Buchprojekt nun leider doch nichts wurde, veröffentliche ich meinen Beitrag hier.

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Der Bonner Kanzlerbungalow, von Sep Ruf gebaut und 1964 von Bundeskanzler Ludwig Erhard bezogen, hat neben privaten Wohnräumen einen – größeren – Trakt für offizielle Empfänge, für Besprechungen und Verhandlungen. Darin wurden diverse Sitzgruppen, für unterschiedliche Konstellationen und Anzahlen von Personen aufgestellt – etwa eine kleinere um einen Kamin, eine größere um einen gläsernen Couchtisch und eine noch größere vor einer Klinkerwand. Auf dieser hing das einzige Gemälde, das für den Bungalow in Auftrag gegeben wurde: „Die Schmiede des Vulkan“ von Alexander Camaro. Werke des Berliner Kunstprofessors, ursprünglich 1901 in Breslau als Alphons Bernhard Kamarofski geboren und somit 

einer der zahlreichen Avantgardisten, die einen Künstlernamen wählten (der in seinem Fall vielleicht an den klassizistischen Antonio Canova erinnern sollte?), waren in den 1950er und 60er Jahren beliebt für repräsentative Räume in bundesdeutscher Politik und Wirtschaft.

Eigentlich war das Bild zu groß für die Wand: Zeitgenössische Fotos zeigen, dass es mit seinem schmalen silbernen Rahmen oben an die (holzvertäfelte) Decke stieß, während es unten nur rund vierzig Zentimeter vom Fußboden entfernt war. Es ist ein Zwitter zwischen Wandbild und Tafelbild. Aber das ist nicht seine einzige Unentschiedenheit. Genauso unklar ist, ob es sich um ein abstraktes oder ein gegenständliches Gemälde handelt. In einer großen Mittelzone wirkt es wie ein Werk des Informel und besteht aus mehreren Schichten und Nuancen von Rot- und Orangetönen. Doch bevor diese sich in den Außenzonen leicht dunkler fortsetzen, werden sie, zumindest auf drei Seiten, von schmalen, fast schwarzen Flächen unterbrochen. Die erste Assoziation, dass das Bild einen Grundriss zeigen könnte, führt jedoch nicht weiter, und eine andere gegenständliche Lesart bietet sich von den Formen her erst einmal nicht an. Allerdings wird der Titel zum Appell, noch etwas genauer und eher im Detail zu schauen: „Die Schmiede des Vulkan“ – – – ist da nicht, im linken unteren Bereich, Schmiedewerkzeug zu erkennen? Eine Werkbank? Ein Amboss? Und stehen die Rottöne dann vielleicht für das Feuer: für die Hitze, die es braucht, um überhaupt schmieden zu können?

Wie sinnfällig: An einem Ort der Exekutive, an dem Pläne geschmiedet und erst recht Tatsachen geschaffen werden, ruft man die griechische Mythologie auf und überhöht das Regierungshandeln ins göttlich Heroische. Der Kanzler als Vulkan, also als Gott des Feuers, und der Bungalow als Werkstatt, in der hart gearbeitet wird. Doch wie passt das zu den großen Fensterfronten des Bungalows, seinen offenen Grundrissen, der Auflösung einer festen Grenze zwischen Innen- und Außenräumen, zwischen dem Gebäude und dem Park, in dem es steht? Hier ist alles hell, transparent, luftig, grün, während eine Schmiedewerkstatt ein geschlossener, weitgehend fensterloser Raum sein sollte, damit die nötigen Temperaturen zu erzeugen sind. Und wie (vor allem) passt eine solche Mythologisierung zum Geist der Nachkriegszeit, als in Deutschland Bescheidenheit, Zurückhaltung, Pragmatismus angesagt waren – alles übrigens Eigenschaften, die kaum irgendwo besser zum Ausdruck kommen als im Kanzlerbungalow, der nicht nur jegliche Attitüde einer Herrschaftsarchitektur vermeidet, sondern staatliche Macht sogar camoufliert und der Ästhetik eines privaten Einfamilienhauses unterordnet?

Aber hieße es nicht umgekehrt, das Gemälde und seinen Titel zu überschätzen, wenn man darin gleich eine Heroisierung der Macht erblicken will? Ein Blick in die Kunstgeschichte lehrt allerdings, dass das Motiv der Vulkan-Schmiede für Herrschaftsinszenierungen tatsächlich sehr beliebt war. So malte etwa Giulio Romano in den 1530er Jahren eine Variante innerhalb eines Freskenzyklus im Palazzo Ducale in Mantua, Jacopo Tintoretto führte das Sujet um 1580 für den Dogenpalast in Venedig aus, und Cosmas Damian Asam widmete um 1720 das zentrale Kuppelfresko im Treppenhaus von Schloss Schleißheim dem Thema. Viele Maler, die vornehmlich im Dienst der Höfe standen, von Anthonys van Dyck bis Diego Velázquez, hatten das Sujet ebenfalls im Sortiment.

Der Blick zurück in die Motivgeschichte offenbart jedoch auch, dass seine Bedeutung, ja selbst die Zusammenhänge, in denen es Verwendung fand, alles andere als verbindlich waren. Die Kunsthistorikerin Tatjana Bartsch, die das Thema 2013 einer ikonografischen Analyse unterzog, stellt fest:

„Die Schmiede Vulkans in den antiken Mythen und Historien kann für sich betrachtet nicht als Narrativ mit klar definiertem Erzählschema bezeichnet werden. Sie ist vielmehr ein wiederkehrendes Motiv, ein variabler Durchgangsort, an dem sich verschiedene Personen und Handlungsstränge kreuzen.“[1]

Entsprechend arbeitet Bartsch heraus, dass das Motiv, an sich erst einmal nur ein Versatzstück, gerade deshalb so beliebt war, weil es immer wieder anders ergänzt, eingebunden, instrumentalisiert werden konnte. Während es dann manchmal darum geht, das Sex-and-Crime-Potenzial des Orts auszuschmücken und darzustellen, wie Vulkan in seiner Schmiede davon erfährt (und darauf reagiert), dass seine Gattin Venus gerade eine Affäre mit dem Kriegsgott Mars hatte, legen andere Varianten den Schwerpunkt auf letzteren, um die Schmiede als Stätte von Waffenproduktion und Rüstungsfleiß vorzuführen. In seiner Verantwortlichkeit für das Feuer lässt sich Vulkan aber genauso in einen Zyklus integrieren, der den vier Elementen gewidmet ist. Ferner fällt auf, dass in verschiedenen Spielarten des Motivs immer wieder anderes geschmiedet wird: Waffen, Pfeile, ein Schild; gelegentlich wird sogar nur Draht gezogen. Schließlich ist fast immer jemand zu Besuch in der Schmiede – Jupiter, Apoll, Amor –, was bestätigt, wie sehr sie „variabler Durchgangsort“ ist.

Was aber macht Alexander Camaro? Sein Einzelbild ist nicht nur in keinen größeren Zusammenhang eingebunden, es fehlt dafür auch jeder Hinweis auf eine bestimmte Auslegung des Sujets. Die formale und stilistische Unentschiedenheit setzt sich vielmehr hinsichtlich der Bildaussage nahtlos fort: Weder knüpft das Gemälde an die schwüle Kaminzimmertradition von Mars-und-Venus-Darstellungen an, noch bietet es Anhaltspunkte für ein Bekenntnis zum militärisch-industriellen Komplex, noch lässt sich eine Aussage darüber treffen, wer hier überhaupt etwas schmiedet und wozu es dienen könnte. Bei Camaro bleibt das Motiv das bloße Versatzstück – undefiniert und für sich allein nichtssagend, bloße Möglichkeit.

Lieferte der Künstler hier also eine peinliche Fehlleistung? Und war Camaro nicht ohnehin nur ein zweitrangiger Künstler, ein Opportunist, der je nach Zeit eher expressionistisch oder ziemlich abstrakt arbeitete und am liebsten irgendwie in der Schwebe blieb, um es sich mit keinem Lager zu verderben? Aber stellten sich nicht auch die Auftraggeber ein Armutszeugnis aus, wenn sie einem solchen Bild einen prominenten Platz in einem offiziellen Empfangsraum zubilligten? An einem Ort, an dem Staatsbesucher und Diplomaten verkehrten?

Doch genau dieser Umstand gibt auch Gelegenheit zu einer wohlwollenderen Lesart. Denn Kunstwerke spielten in der Geschichte der Diplomatie wiederholt eine nicht unwichtige Rolle. Da ein Bild nicht nur mehr sagen kann als tausend Worte, sondern vor allem auch je nach Standpunkt anders zu interpretieren ist, eignet es sich als Medium dafür, dass verschiedene Parteien in einem zwanglosen Gespräch ihre jeweiligen Interessen signalisieren und ausloten. „Gerade in angespannten Verhandlungen“, so der Kunsthistoriker Ulrich Heinen, könne ein Gemälde zu einem bildhafteren Sprechen anregen, könne Metaphern und Vergleiche stimulieren und so „den Gesprächsfluss sowie das wirkungsvolle Vorbringen eigener Interessen erleichter[n]“.[2] Heinen hat dies für das 17. Jahrhundert näher erforscht und insbesondere am Beispiel von Peter Paul Rubens herausgestellt, wie vorteilhaft es für einen diplomatischen Erfolg sein konnte, dass die zum Einsatz kommenden Bilder möglichst vieldeutig – semantisch unbestimmt – waren. Das ging so weit wie im Fall von Rubens’ „Friedensallegorie“, einem Gemälde, das 1629/30 in London im Zuge von Friedensverhandlungen zwischen England und Spanien entstand: Um das Bild hinsichtlich der dafür möglichen Interpretationen offen zu halten, veränderte Rubens es wiederholt, reagierte „mit einem Wechsel des Bildträgers, mehreren Anstückelungen und zahlreichen Übermalungen“ auf den Fortgang der Gespräche, trieb sie aber auch voran, indem er sie „durch fortlaufende Uminterpretationen und Erweiterungen des Bildgedankens tagesaktuell analysierte“.[3]

Im 20. Jahrhundert ist es hingegen gar nicht mehr nötig, ein Bild wiederholt zu verändern, sind doch in der Moderne Ambiguität und Eindeutigkeitsverweigerung zu Haupteigenschaften bildender Kunst geworden, unerschöpfliche Neudeutungen also von vorherein angelegt.[4] Insofern könnte nicht nur Camaros Gemälde in seiner stilistisch-inhaltlichen Vagheit, sondern könnten genauso zahllose andere Werke für den diplomatischen Dienst disponiert sein. Unternehmen, vor allem Banken begründen damit sogar gerne, warum sie begonnen haben, moderne Kunst zu sammeln. Ein leitender Manager der Deutschen Bank berichtet etwa begeistert davon, er könne „gar nicht mehr aufzählen, wie oft das Eis in […] Meetings gebrochen wurde, indem ein Kunde sich nach den Gemälden in den Räumen erkundigte“ und daraufhin ein Gespräch in Gang gekommen sei.[5]

War also Camaros Bild gerade wegen seiner vielen Unentschiedenheiten geeignet, Besprechungen zu begleiten oder einen Einstieg in eine Verhandlung zu erleichtern? Einem humanistisch Gebildeten mochte der Titel einen willkommenen Anlass bieten, um mit mythologischen Kenntnissen zu beeindrucken, andere konnten die Vitalität ihrer Phantasie unter Beweis stellen, indem sie dies oder das in den Farbflächen zu erkennen vorgaben, wieder andere räsonierten lieber über moderne Kunst an sich oder über die existenzielle Bedeutung von Rot oder über eine Malerei in Schichten, wo das Frühere immerzu übermalt, dementiert, zerstört und dennoch aufgehoben würde.

Gespräche vor Camaros Bild sind nicht überliefert, nur diverse Fotos, auf denen Herren in wechselnden Runden vor der Klinkerwand zu sehen sind, darunter auch die Kanzler Erhard und Kiesinger. Vermutlich ist es aber doch eine zu wohlwollende Deutung, wollte man dem Bild einen noch so geringen Anteil an den Erfolgen bundesdeutscher Regierungen zugestehen. Wäre es anders, hätte man es kaum nach ein paar Jahren – sang- und klanglos – abgehängt und in ein Depot verbracht. Seine Unentschiedenheit lässt sich im Nachhinein aber immerhin als sinnbildlich für die Situation der jungen Bundesrepublik ansehen: An einem zentralen Ort eines Verfassungsorgans repräsentierte „Die Schmiede des Vulkan“ einen Staat, der damals selbst im Modus des Indefiniten war – ein völkerrechtliches Provisorium, weder in der Lage noch willens, eine wichtige Rolle zu spielen, und von Politikern regiert, die ihre Macht, so kurz nach den Erfahrungen des Dritten Reichs, lieber nicht demonstrierten. Hätte etwas besser passen können für die Bonner Republik als dieses Bild und die auf ihm verordnete semantische Auszeit?

[1] Tatjana Bartsch: „Die Schmiede des Vulkan in den Bildkünsten der Renaissance“, in: Anna Heinze / Albert Schirrmeister (Hgg.): Antikes Erzählen. Narrative Transformationen von Antike in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2013, S. 197-224, hier S. 211.

[2] Ulrich Heinen: „Der Stil des Politischen. Das zivile Leben als sein Grund, sein Merkmal und seine Norm um 1600“, in: Dietrich Erben / Christine Tauber (Hgg.): Politikstile und die Sichtbarkeit des Politischen in der Frühen Neuzeit, Passau 2016, S. 129-156, hier S. 146.

[3] Ebd., S. 150.

[4] Zum Unerschöpflichen als Topos der Moderne vgl. Wolfgang Ullrich: „Unsterblich, unausdeutbar, unbezahlbar: die Un-Tugenden der Kunst“, in: Ders.: Gesucht: Kunst! Phantombild eines Jokers, Berlin 2007, S. 71-92.

[5] Neil Barrable (Deutsche Bank, Hongkong): „Kunst = Inspiration“, in: Ariane Grigoteit / Deutsche Bank (Hgg.): 25 Visuell. Kunst Deutsche Bank, Berlin 2005, S. 10.

Und hier der gesamte Aufsatz als PDF unter Atlantis-Bonn_Ullrich

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