Gespräch über Kunst in postdigitalen Zeiten

Mit der Kunstwissenschaftlerin Marie-France Rafael sprach ich über ihr neues Buch „Passing Images: Kunst in postdigitalen Zeiten“, das bei Floating Opera Press sowohl auf Deutsch wie auf Englisch erschienen ist. – Hier ist das Video anzuschauen!

Rafael experimentiert in ihrem Buch in vier Kapiteln mit Formen situativen Schreibens, um dem Umstand gerecht zu werden, dass sich „die drei Dimensionen der Produktion, Zirkulation und Konsumtion von künstlerischen Inhalten unter dem Einfluss des Digitalen oft bis zur Untrennbarkeit miteinander verschränken“. Schreiben über Kunst erfolgt also nicht mehr aus einem distanzierten Rezipieren, und oft sind Kunstwerke genauso für den digitalen Raum wie für den herkömmlichen analogen Raum angelegt. Das Gespräch analysiert das genauer anhand eines Kapitels aus Rafaels Buch, in dem es um Anne Imhofs Beitrag „Faust“ zur Venedig-Biennale im Deutschen Pavillon im Jahr 2017 geht. Was heißt es, dass die Künstlerin ihre Arbeit nicht nur für die Rezeption vor Ort, sondern genauso für die Sozialen Medien angelegt hat? Weiter geht es darum, inwieweit man das, was in den Sozialen Medien mit Kunst passiert, mit zwei traditionsreichen Begriffen der Kulturtheorie – dem Begriff des ‚Kultwerts‘ von Walter Benjamin und dem Begriff des ‚Spektakels‘ von Guy Debord – erfassen kann.

Nachruf auf Peter Weibel

Peter Weibel ist tot, für ZEIT-online habe ich einen Nachruf geschrieben – hier zu lesen.

„Obwohl Peter Weibel seine Karriere vor allem innerhalb von Institutionen machte, blieb er ihnen gegenüber immer skeptisch, ja hatte Lust auf Gedanken, die auch für ihn selbst unbequem und gefährlich werden konnten. So hat kaum jemand kritischer über Museen geurteilt als er, wenn er etwa beklagte, dass Exponate im ‚White Cube’ merkwürdig neutralisiert würden, „der geistige Gehalt und die ideologische Position eines Kunstwerks“ im Museum also „letztlich egal“ seien. Und während des Corona-Lockdown provozierte er manche mit der These, es sei gut, dass nun vieles nur noch online stattfinden könne, denn im Museum werde doch bloß „eine Nähe beschworen“, obwohl die Besucher sich eigentlich „gegenseitig nur auf die Nerven gehen“. Also müssten Museen versuchen, „das bessere Netflix zu sein“, und viel mehr „Angebote schaffen, die im Netz einzigartig sind, aber auch das Publikum beteiligen“. – Solche Aussagen lassen sich vielleicht nur ganz verstehen, wenn man weiß, wie wichtig es Peter Weibel immer war, den so lange viel zu exklusiven, elitären Kunstbetrieb zu öffnen und zu demokratisieren. Von den Medien ging für ihn also die Verheißung einer egalitäreren, freieren, offeneren Gesellschaft aus. Und wie er deshalb misstrauisch gegen zu viel Nähe war, war er auch misstrauisch gegen die Fetischisierung von Originalen, bekannte sich vielmehr schon 1988 zu seiner „Verachtung des Originals“. Mochte diese Verachtung daraus resultieren, dass er selbst seine Bildung vor allem über Reproduktionen und über Medien erworben hatte, so darf man sich ihn insgesamt vorstellen wie einen der jugendlichen Helden aus Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“, die ja ihrerseits vor allem dank Zeitschriften und Büchern – mit Hilfe von Medien – gegen vermeintlich unüberwindliche Grenzen zu opponieren vermochten.“

Das Foto zeigt Peter Weibel 2014 bei einem Auftritt mit seiner Band „Hotel Morphila Orchester“.

„Denn jede Form des Ausdrucks ist nur ein Gefängnis“ heißt es in seinem Song „Pollock-Rock“ von 1982. Möge er nun also in Freiheit ruhen.

„Die Kunst ist mächtiger denn je“ – ZEIT-Gespräch mit Markus Gabriel

Auf Einladung der ZEIT traf ich Mitte Januar in Hamburg den Philosophen Markus Gabriel zum Gespräch. Anlass waren unsere beiden Bücher, Gabriels Essay „Die Macht der Kunst“ und meine Studie „Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie“, und geplant war eigentlich ein Streitgespräch, da wir in einigen Hinsichten konträre Positionen einnehmen. So sieht Gabriel die Autonomie der Kunst (seit der Höhlenmalerei) als unantastbar an, während sie für mich nur in einer relativ kurzen Phase der Geschichte ein Ideal darstellte. Für Gabriel beweist sich auch in jeder Handtasche und jedem Protestplakat die Macht der autonomen Kunst, während derartige Phänomene für mich gerade Belege dafür sind, dass Kunst sich mit anderen Bereichen verbindet und an Eigenwert verliert. Tatsächlich trugen wir unsere Differenzen auch aus, entdeckten dann aber zunehmend mehr Punkte, die wir ähnlich einschätzen. In der Bearbeitung des Gesprächs für die Publikation entschieden die beiden gesprächsführenden Redakteure, Hanno Rauterberg und Peter Neumann, vor allem diese Passagen auszuwählen. Mittlerweile sind sie nachzulesen (ZEIT 5/2022) – und dies nun auch hier:

Katalogessay zu Hannah Villiger

Für die Ausstellung „Hannah Villiger: Amaze Me“, die im Muzeum Susch stattfindet, bin ich in einem Katalog-Essay der Frage nachgegangen, ob die fotografische Praxis von Villiger, die meist mit Polaroids arbeitete, in heutigen Fotoprojekten und unter den Bedingungen Sozialer Medien eine Fortsetzung erfährt. Bei Villigers Fotoarbeiten aus den 80er- und 90er-Jahren (Abb. links) scheint mir ein kritisch-analytischer, zum Teil sogar autoaggressiver Blick auf den eigenen Körper vorherrschend zu sein. Aktuelle Bilder z.B. von Maisie Cousins (Abb. rechts) mögen zum Teil ähnlich aussehen, doch geht es hier viel eher darum, jenen kritisch-autoaggressiven Blick selbst zu thematisieren und zu hinterfragen. Heutige Bildpraktiken sind also ‚aktivistischer’, denn negative Körperbilder sollen ausdrücklich überwunden, lange problematisierte Körperphänomene aufgewertet werden. 

Hier die deutsche Version meines Essays:

Und hier die englische:

„No time for romance“. Zu Neven Allgeiers Fotografien

Für das im Distanz-Verlag kürzlich erschienene Buch „Fading Temples“ des Fotografen Neven Allgeier habe ich einen Text geschrieben. Mein Ausgangspunkt war dabei die Aufschrift einer Basecap eines der Porträtierten: „No time for Romance“. Darin kommt für mich die Atmosphäre des aus Porträts und Environments bestehenden Bandes prägnant zum Ausdruck, denn für mich vergegenwärtigen Allgeiers Fotos sehr gut die dystopische Stimmung und Naturerfahrung vieler meist jüngerer Menschen – gerade auch derer, die sich als #lastgeneration begreifen. Hier ein Ausschnitt aus meinem Text:

„Man kann Natur nicht länger ästhetisch genießen, sondern spürt allenthalben die Folgen eines über lange Zeit maßlosen Umgangs mit Umwelt und Ressourcen. Mochte sich die Natur früheren Generationen als Zufluchtsort angeboten haben, wo sie die Enge des eigenen Lebens transzendieren, sich von den Enttäuschungen und Zumutungen der Zivilisation erholen, den unliebsamen Alltag für kurze Zeit verdrängen konnten, so weckt oder verstärkt ihr Anblick heute Schuldgefühle und Zukunftsängste, Trauer, Wut und Resignation. Wo einst viel Platz für Romantik war, ist keiner mehr.“

Und hier der gesamte Text:

Die Moderne in der Therapie

Gerade ist der Katalog zur Ausstellung „Raum und Gedächtnis“ von Ben Willikens im Schauwerk Sindelfingen erschienen. Dafür habe ich einen Essay geschrieben, in dem ich Willikens’ Auseinandersetzung mit „Räumen der Moderne“ zum Anlass nehme, mir im Vergleich anzuschauen, warum er und einige andere zeitgenössische Künstler:innen so gerne Räume von El Lissitzky, De Stijl-Künstlern, Mies van der Rohe, Bruno Taut etc. als Sujet wählen. Mein Text hat den Titel „Die Moderne in der Therapie“, da ich darin die These entwickle, dass es den Künstler:innen mit ihren Bildern jeweils darum geht, die Klassische Moderne einer Revision zu unterziehen und besser zu machen, als sie im ersten Anlauf war. Allerdings unterscheiden sie sich zum Teil deutlich hinsichtlich ihrer Idealbilder einer besseren Moderne! Wer den Text lesen will – hier ist er:

„Ein zweites Leben“ (Katalogtext zu Ingo Gerken)

Seit zehn Jahren arbeitet der Konzeptkünstler Ingo Gerken an seiner Serie ‚Bibliosculptures’. Dazu nimmt er Kunstbücher, ergänzt darin reproduzierte Werke um alltägliche Objekte und fotografiert die so entstehenden Ensembles. Charakter und Bedeutung der Ausgangswerke verändern sich dadurch schlagartig – ernste und hermetische Kunst wird lapidar, oft sogar komisch. Nun hat Gerken die ‚Bibliosculptures’ in einem Buch mit dem Titel „Offenes Buch“ versammelt. Darin gibt es auch einen Text von mir – hier zu lesen:

„Art goes Pop“ (Vortrag)

Am 21. April 2022 hielt ich auf Einladung des SFB 1472 („Transformationen des Populären“) der Universität Siegen einen (deutschsprachigen) Vortrag mit dem Titel „Art goes Pop“. Darin erläutere ich anhand einer Reihe von Beispielen, dass und inwiefern die bildende Kunst, in der lange Zeit ein Monopol hochkultureller Praktiken herrschte, in den letzten Jahren verstärkt von popkulturellen Praktiken erfasst und entsprechend stark transformiert wurde. Damit greife ich zugleich einige Beobachtungen auf, die ich in meinem Buch „Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie“ diskutiere.

Der Vortrag ist nun online gestellt und kann hier angeschaut werden!

Bei Twitter gibt es einen guten (englischsprachigen) Thread von Luca Hammer zu einigen zentralen Thesen des Vortrags – und zwar hier!

„Die Kunst, keine zu sein“ (Essay auf ZEIT-Online)

Für ZEIT-online habe ich aus Anlass einiger Eigenheiten der Documenta-Debatte einen Essay geschrieben. Dabei interessiert mich insbesondere, was es heißt, dass Kunst für viele zwar nach wie vor (oder gar mehr denn je) kritisch und emanzipatorisch sein soll, anders als in der westlichen Moderne aber gerade nicht mehr maximale Freiheit das Ziel ist. Der Leitbegriff ist nun vielmehr ‚Gerechtigkeit’, oft verstanden im Sinne von Gleichberechtigung. Das bedeutet aber nicht nur, manche individuelle Freiheit zu überdenken, sondern verlangt auch, sich vermehrt in der Wahrnehmung kausaler Zusammenhänge zu schulen. Denn je knapper Ressourcen werden, je schädlicher einzelne Praktiken für heutige oder künftige Generationen sind, je stärker auch sozial bedingte Einschränkungen, unter denen viele Menschen leiden, präsent werden, desto mehr hängt davon ab, dass man die Konsequenzen des eigenen Handelns einschätzen und einen reflektierten Begriff von Verantwortung entwickeln kann. Die Kunst könnte künftig also im selben Maß, in dem sie lange als Vorbild für Freiheit und Individualismus fungiert hat, ein Vorbild für Transparenz und Rücksichtnahme sein. – Hier der vollständige Text: