Kunst küssen? - Ein Museumsbesucher verwechselt die Rolle des Rezipienten mit der des Besitzers! Edouard Antoine Marsal: Satyr et Bacchante, Öl auf Leinwand, 55 x 40 cm, 1887, Musée Paul-Valery, Sète
In den letzten Wochen schrieb ich für Kataloge, die im Herbst 2016 publiziert werden, zwei Texte, in denen ich jeweils versuche, genauer zu bestimmen, was es heißt, Kunst zu besitzen: Welche spezifischen Erfahrungen macht jemand, der ein Werk nicht rezipiert, sondern es besitzt? Was bedeutet es, dass man in unserer Kultur einen Text oder ein Musikstück nicht in selber Weise exklusiv besitzen kann wie ein Gemälde oder eine Skulptur? Und welche Eigenschaften hat bildende Kunst, die mit Blick auf Besitzer entsteht – im Unterschied zu einer Kunst, die von vornherein für Rezipienten in einem Museum geschaffen wurde?
Im Essay Kunsthandel als Exklusivitaetsdesign interessiert mich vor allem der Unterschied zwischen der auf exklusiven Besitz angelegten bildenden Kunst und anderen Formen der Hochkultur wie z.B. der Literatur, die von vornherein möglichst jedem zugänglich gemacht werden soll:
„Tatsächlich findet man gerade ein Adjektiv wie ‚hehr’ schon seit dem 18. Jahrhundert viel häufiger in Verbindung mit bildender Kunst als etwa mit Literatur. Klingt darin an, dass ein Unikat und Original an sich schon mehr Ehrfurcht wecken kann als irgendein Exemplar eines noch so wichtigen Buchs, so ist damit erst recht dem Erlebnis Ausdruck verliehen, mit dem Kauf die komplette Verfügungsgewalt über das Werk erworben zu haben: dafür verantwortlich zu sein, die in ihm konzentrierte Kraft vielleicht auch erst bändigen zu müssen.“
Der Essay Vom Besitzen zum Rezipieren widmet sich dem Museum als einem Ort, an dem Kunst, die oft zuerst in privatem Besitz war, auf einmal öffentlich wird und nun den Erwartungen von Rezipienten zu genügen hat. Die Frage ist, unter welchen Umständen das überhaupt möglich ist:
„Es ist insgesamt alles andere als trivial, Kunst aus einer Privatsammlung in ein öffentliches Museum zu überführen. Der damit einhergehende Rollenwechsel, ja die anderen Ansprüche und Wahrnehmungen, denen Werke dann ausgesetzt sind, bedeutet für sie nicht weniger als eine ontologische Krise.“